„Es ist sicherlich eine gute Zeit, um Punkmusiker zu sein“

Hamburg. Wäre der Zeitgeist ein Schmetterling, er sähe zum Kotzen aus. Nicht weiter verwunderlich eigentlich, dass er deshalb genau hier, in der Gosse der Popkultur, derzeit mit besonderer Akkuratesse eingefangen wird, seit einer Weile schon und im zunehmenden Lichte der Aufmerksamkeit des staunenden Kunstbetriebs. Wobei man durchaus über dieses Staunen staunen darf. Der Punk, er hat schließlich immer dann Konjunktur, wenn die Verhältnisse ins Rutschen geraten. Und wer will das gerade ernsthaft bezweifeln?
Punkmusik also, mal wieder poltrige Pulsmesserin der Republik. Seismogräfin gesellschaftlicher Spannungen. Lesen im Bodensatz. Frust, Wut, Enttäuschung, Überforderung, zum akustischen Auswurf zusammengezogen und abgehustet auf zwei, selten drei Minuten.
Timo Warkus,
Sänger von Team Scheisse
Am weitesten spuckt dabei eine Band aus dem neuen bundesrepublikanischen Kraftzentrum dezidiert linker, launiger Protestmusik, aus der Hansestadt Bremen, wo Gruppen wie Frustwut, scheitern.dreitausend oder Teddies Kneipe derzeit auf sich aufmerksam machen: Team Scheisse. Ihr aktuelles Album, „20 Jahre Drehorgel“, ist im März auf Platz neun der Charts eingestiegen. Gelobt von einschlägigen Subkulturmagazinen. Aber auch vom ARD-Kulturformat „ttt“. Von stilistisch ansonsten wenig kompromissbereiten Publikationen wie „powermetal.de“, wo das Album 9,5 von zehn Punkten erreichte. Vom Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“. Und vom Musikjournalisten Linus Volkmann. Mehr kann man eigentlich nicht erreichen.
Hamburg, St. Pauli, Große Freiheit, Hausnummer 36, ein Donnerstag im April. In einem Raum im Backstagebereich, zwei Sofas, schweres Leder, darauf benutzte Socken, ein Rucksack, ein Schlagzeuger und ein Sänger, denkt letztgenannter, Timo Warkus heißt er, über die Implikationen des aktuellen Erfolgs nach. „Ganz krass ist ja natürlich jetzt: Was passiert danach? Was soll denn das nächste Album noch sein?“ Seine wunderbare, in Latrinenlyrik dargebotene Conclusio: „Jetzt haben wir halt Bock, so richtig reinzuscheißen.“
Warkus, Jahrgang 1979, platinblonder Waldschratbart, der gesichtstätowierte Vater Abraham des Deutschpunk, ist nicht nur optisch das markanteste Mitglied von Team Scheisse. Die Band ist ein Projekt von ihm und Hannes Gehring, gestartet einige Jahre vor dem Debüt „8 Hobbies für den sozialen Abstieg“ (2020). Gehring, kein Mann fürs Scheinwerferlicht, ist bis heute hauptverantwortlicher Komponist im Hintergrund, die Texte kommen von Warkus, die restliche Band spielt die Musik ein, steht als Team Scheisse auf der Bühne. Die Besetzung: ein Stamm, um den sich etliche Reservisten tummeln. Selbst Warkus musste sich krankheitsbedingt live schon mal auswechseln lassen. Fiel niemandem auf, heißt es.
„Wir sind halt keine normale Band in vielerlei Hinsicht“, sagt Warkus. „Wir sind einfach so ein komischer Seiltanz-Akt. Und wir stolpern die ganze Zeit. Ich glaube, das macht auch Spaß, uns dabei zuzugucken. Dass wir das irgendwie schon hinkriegen, ‚Karstadtdetektiv‘ zu spielen. Weil es halt auch nicht schwer ist. Und es trotzdem ballert.“

Hand drauf: Team Scheisse und Crew unmittelbar vor dem ersten von zwei Konzerten in Hamburg.
Quelle: Danny Kötter
„Karstadtdetektiv“ ist einer ihrer beliebtesten Songs, 3,5 Millionen Mal gespielt bei Spotify. „Ihr könnt klauen, was ihr wollt / ich werd‘ niemanden verraten / alles, was ich will, ist ein Freund“ - eine schrammelige Miniatur, Vereinzelung, Kapitalismuskritik, konzis abgehandelt in 79 Sekunden.
Zu Karstadt geht heute kein Schwein mehr. Team Scheisse aber rennen sie die Bude ein.
Gerade befindet sich die Band auf „Wer soll das bezahlen, wer hat soviel Geld?“-Tour. 16 Shows quer durch Deutschland, sechs davon frühzeitig ausverkauft. An zwei aufeinanderfolgenden Abenden gastieren sie in Hamburg. Ein Blick ins Publikum auf St. Pauli reicht, um festzustellen, dass Punk als Ausdrucksform im Allgemeinen und Team Scheisse im Speziellen gerade eine erstaunliche Breitenwirkung erzielen: Da warten Menschen mit Vokuhila und weiten Hosen vor dem Club auf Einlass. Da stehen Männer in Metalkutten am Pissoir. Da steht die Frau im linksautonomen Christiania-Hoodie am Merch-Stand. Da ist der Typ mit Iro und Ersatzkopf-Shirt - noch so eine Band, die die deutsche Rumpelrock-Renaissance mitgestaltet. Da ist der Kerl mit umgedrehtem Slayer-Cap, das Mädchen im Hello-Kitty-Top. Sogar ein Grufti schwirrt fröhlich durch die Gänge. Wann hat man die eigentlich das letzte Mal gesehen?
Bevor Team Scheisse um kurz vor neun die Bühne betreten, schmatzt Warkus eine geflüsterte Regieanweisung ins Mikro: „Stellt die Handys auf lautlos. Lasst bitte eure T-Shirts an. Passt aufeinander auf.“ Team Scheisse legen Wert auf Regeln der Rücksichtnahme, Awareness gehört zu ihrem Markenkern - im Sinne der Punk-Logik und im Lichte des gesellschaftspolitischen Backlash aus konservativen Anti-Woke-Kreisen ist so etwas wie der Flinta-Pit bei Team Scheisse fast schon wieder Provokation. Zweimal pro Abend und für je zwei Stücke müssen die Männer die Pogo-Zone räumen, um das Feld den Frauen, trans Personen und allen, die sich anders identifizieren, zu überlassen. Dann wird beschwingt um sich geboxt zu „Panzerquartett“, „Cobratattoo“ oder dem großartigen „Beige“ vom neuen Album, in dem „ein helles Braun“ besungen wird - die Alltagsnazis unter uns.
Team Scheisse, Band mit Haltung und Humor. Ein Begriffspaar, ohne das kaum ein Text über die Bremer auskommt. Wobei Warkus seine Probleme damit hat, in politischen Kategorien von Haltung zu sprechen, wenn es darum geht, zu markieren, wo sich die Band im weltanschaulichen Spektrum verortet. „Haltung, so links zu sein - das ist auch so bizarr, dass das irgendwie so ein Ding ist. Für uns ist zum Beispiel Antifaschismus der Standard. Die ‚böse Antifa‘, das ist auch so ein Missverständnis, das sich in den Köpfen festgesetzt hat. Dabei ist das ein Narrativ von den Rechten“, sagt er im Gespräch zwischen den beiden Hamburger Shows, halb vom Backstage-Sofa verschluckt. „Die böse Antifa“, mault Warkus einen imaginierten Rechtsradikalen an, „gibt es nur wegen dir, Digger.“

"Die böse Antifa gibt es nur wegen dir, Digger": Timo Warkus (vorne) und Simon Barth (hinten).
Quelle: Danny Kötter
Team Scheisse haben dem Thema ein Lied gewidmet, 2023 auf ihrem Album „042124192799″, es heißt „FA“ ist ihr plakativster Song. Das, was 30 Jahre vorher „Schrei nach Liebe“ für die Ärzte war: ein Statement gegen die jeweiligen Neonazis ihrer Zeit, eine vertonte politische Kampfschrift. „Bist du Anti Antifa, bist du Fa“ - mit der Nummer sind sie vor zwei Jahren in Jan Böhmermanns „ZDF Magazin Royale“ aufgetreten. Böhmermann, Edelfan, mit Warkus hat er früher zusammen beim Radio gearbeitet. Man schätzt sich. Aber klar: Kontrovers war die Sache schon. Team Scheisse im Fernsehen? Bei Böhmermann? Kommerz, sagen die einen. „Team Scheisse war nie Underground“, sagt Warkus, der eigentlich gar nicht aus dem Punk, sondern aus der anderen Stilrichtung kommt, die das kann, soziale, politische Missstände adressieren: aus dem Hip-Hop. „Sobald du irgendwie Geld verdienst mit deiner Musik, bist du dann noch Underground? Also ab wann ist Sellout Sellout?“
Es ist das ewige Punker-Dilemma, wenn eine Band wie Team Scheisse auftaucht: Sie sollen liefern, aber bitte nicht für jeden. Sonst sind sie Mainstream. An dieser Abbruchkante balancieren Team Scheisse gerade.

Awareness und Rücksicht - Teil des Markenkerns von Team Scheisse.
Quelle: Marco Nehmer
„Wir sind Berufsmusiker”, sagt Simon Barth, Schlagzeuger, der sich zum Interview um die Mittagszeit als einziger neben Warkus aus dem Tourbus quälen konnte. Bassist Thomas Tegethoff schläft noch, Gitarristin Mello Kanone ist krank, am zweiten Hamburger Abend wird Tourmanager Henri sie ersetzen. „Kannst du als Berufsmusiker“, fragt Barth, „eigentlich Teil von so einer Kultur sein, die sich dadurch definiert, sich von der Gesellschaft abzugrenzen? Das ist vielleicht eher etwas, was man im Hobbykeller machen muss. Andererseits: Wenn alle Leute das im Hobbykeller machen können, dann ist das ein Hobby für reiche, weiße Kids, die sich das leisten können, gerade Musik zu machen.“ Deshalb, sagt er, müsse es „vielleicht auch ein bisschen kommerziellen Punk geben, um davon leben zu können“.
Können sie ganz ordentlich. Die Nachfrage ist bemerkenswert. Warkus ist für seine Band, die längst ein Full-Time-Job ist, samt Familie von Erfurt nach Bremen zurückgekehrt. „Es ist”, sagt Schlagzeuger Barth, „sicherlich eine gute Zeit, um Punkmusiker zu sein. Sehr lukrativ.“
Bands wie Pisse, Pogendroblem, Kochkraft durch KMA, Burnout Ostwest - ein Projekt des Team-Scheisse-Impresarios Gehring, der auch noch mit Mercedes Jens in der Szene reüssiert -, Akne Kid Joe - Punk ist, obwohl nie wirklich weg, wieder voll da. Denn er hat was zu sagen: Die Zeit, in der wir leben, ist scheiße. Scheiße gefährlich. Für das Land, die Welt, den eigenen Kopf.
Timo Warkus
über den Zustand der Welt als künstlerischer Treiber für Punkmusik
„Du kannst”, sagt Timo Warkus, „natürlich auch die Scheuklappen zumachen, aber wenn du dir die Welt anguckst, Digger, was hast du denn dann für ein Gefühl? Du hast ja nicht das Gefühl: Oh, ist doch alles cool. Ich setze jetzt mal Kinder in die Welt, dann kaufe ich ein Haus und besorg mir einen Labrador. Sondern, was ist denn los, Alter? Das kann morgen hier überall explodieren.“ Das, sagt er, sei ein zentrales Motiv beim Erschaffen ihrer Musik. „Für mich ist es heilsam, das zu machen. Für uns ist es heilsam, anderthalb Stunden auf irgendwelchen Fellen rumzukloppen. Das ist reinigend. Deswegen sage ich auch immer: Gründet eine Punkband. Das muss auch keinem Anspruch gerecht werden, das muss auch im Grunde nicht mal Punkrock sein, aber findet euren Ausdruck, damit ihr mit dieser Scheiße nicht schwanger geht, sondern das aus euren Ventilen wieder rausbekommt.“
Team Scheisse machen das auf Team-Scheisse-Art. Mit sauber gearbeiteter Stümperei. Mit Warkus‘ Bühnen-Harlekinade, wie ein Schlangenmensch auf Speed, ausdrucksstark aus dem Kreuz heraus den Hintern durchwalkend, mit seinem schrullenhaften Schreigesang, den er als seinen „natürlichen Ausdruck” bezeichnet und erst durch seine Arbeit an und mit Team Scheisse entdeckt habe. Mit wirklich fantastischen, angeschossen durch den Raum hinkenden Melodien, kleinen, zerbeulten Hymnen.
Und mit diesem Humor, der Methode hat. Da ist zum Beispiel „Pluto“, ein Lied, das dessen Verbannung aus dem Kreis der Planeten des Sonnensystems für den Niedergang hier unten verantwortlich macht, für Krieg, Klimakatastrophe. Und für die CDU. „Pluto“ beginnt mit einem O-Ton von Markus Söder, Chef der Schwesterpartei CSU, dem Zwergplaneten im Bund gewissermaßen, der sich trotzdem für Jupiter hält. Söder spricht da über die „zwangshafte Veganisierung Deutschlands und Bayerns“. Über ein „Leben ohne Schweinbraten“, das möglich, aber nicht sinnvoll sei. Absurdes Zeug, das manchmal für sich selbst stehen muss. Team Scheisse haben da ein gewisses Gespür für.
„Guck mal“, sagt Texter Warkus, „wenn du so einen Söder sprechen hörst, da kriegst du ja Gefühle. Willst du dich wirklich inhaltlich mit dem auseinandersetzen? Geht doch gar nicht. Du kannst doch nur über den lachen. Oder Merz. Wenn ich das zu Ende denke, dann kann ich gar nicht aussprechen, was ich Merz wünsche. Das heißt, ich muss es irgendwie umkrempeln. Dann muss ich einen Weg finden, mit dieser ganzen Scheiße umzugehen, den Kopf über Wasser zu halten, damit ich an dem ganzen Kack nicht ersticke. Das ist teilweise schwer auszuhalten. Humor ist da eine Kompensationsform.“
Schwer auszuhalten, Klappe, die X-te: Im Januar spielten Team Scheisse ein Konzert auf der Großdemo gegen den AfD-Bundesparteitag in Riesa. Kurz darauf, Bundestagswahl: AfD 20,8 Prozent, Ergebnis verdoppelt. Ist Haltung also doch tot? Nun: Wer weiß schon, wie sich rechtsextreme Kräfte im Land bereits aufzutreten trauten, wenn es keinen nennenswerten Widerspruch aus der Zivilbevölkerung, aus dem Kulturbetrieb gäbe? Und außerdem, sagt Drummer Simon Barth: „Ich glaube, wenn wir jetzt in Umfragen bei 25 Prozent AfD stehen, dann ist das nur ein Zeichen dafür, dass wir kein Sondervermögen Bundeswehr brauchen, sondern ein Sondervermögen Bildung, weil wir so dumm sind, dass wir solche Idioten wählen.“

Schweißtreibende Arbeit: Schlagzeuger Simon Barth in Hamburg.
Quelle: Danny Kötter
Überall dieser Irrsinn. Hier. Und dort. USA. Trump. Musk. Die Macht der Tech-Oligarchen. Schwer auszuhalten. Und manchmal ist es zu viel, selbst ihnen. Team Scheisse haben vor Kurzem öffentlichkeitswirksam ihr Instagram-Konto gelöscht. Die Band, vom Hip-Hop-Label von Kitschkrieg noch vor dem ersten richtigen Album „Ich habe Blumen von der Tanke mitgebracht (jetzt wird geküsst)“ (2021) unter Vertrag genommen, ist als Meme-Band bekannt geworden, sie beherrschen das wie kaum jemand sonst in der Szene. Mit Team Scheisse und Instagram, das zum Facebook-Konzern Meta gehört, ist es nun aber aus. 50.000 Follower - versenkt. Von X, das mal Twitter war, hatten sie sich vorher schon abgewendet, auch das kostete einige tausend Follower.
„Sind wir wahnsinnig? Warum lassen wir das überhaupt zu? Warum finden denn irgendwelche linken Journalisten auf X noch statt? Was ist denn los? Das muss man alles komplett boykottieren”, sagt Drummer Barth über die Musk-Plattform. Bei Instagram sei die Sache komplexer, „aber es ist halt auch schon total eindeutig, wie sich Zuckerberg diesem faschistischen Regime anbiedert. Und es wird irgendwie alles nicht besprochen, dass das wirklich Nazis sind. Ich weiß nicht, was die noch machen sollen außer Hitlergrüße auf der Bühne. Sollen die sich noch so einen kleinen Hitlerbart anmalen, oder worauf warten wir da eigentlich, um da mal drüber zu sprechen in Deutschland? Den finanziellen Fallout davon erleben wir ja jetzt schon von dieser wahnsinnigen Diktaturpolitik. Das kommt dann hier an und dann schmiert der Dax mal eben so um elf Prozent ab oder so was Wahnsinniges.“ Warkus: „Und jetzt soll ich da noch meine komischen Katzenbilder hochladen? Won’t happen. Ich hab keine Freude mehr daran.“

Insta-Konto mit 50.000 Followern versenkt: Team Scheisse um Timo Warkus (li.), Simon Barth (hinten), Mello Kanone (re.), Thomas Tegethoff (vorne).
Quelle: Danny Kötter
Mittlerweile sondert er seine kleinen Social-Media-Preziosen im Namen der Band nur noch bei Bluesky ab, für etwas mehr als 7000 Abonnenten. Den Insta-Account hatten sie kurz vor Bekanntgabe des Zusatzkonzerts in Hamburg dichtgemacht. Das dann am Mittwoch auch direkt weniger gut besucht ist. „Also die Ticketverkäufe sind danach schon sehr eingebrochen, das ist schon krass“, sagt Warkus. „Der Hype kam auch ein bisschen durch diese Memefication, durch die Synergien durch User und so weiter, und das ist jetzt weg, und wir merken das. Wir erreichen einfach die Leute nicht mehr.“
Aber immer noch genügend Leute, um mit ihrem Cocktail aus Ingrimm und Irrwitz Punk-Poesie zu schaffen, die wirkt. „Wir sind”, sagt Barth, „ja nicht die einzige Dada-artige politische Punkband, die es gibt. Aber trotzdem ist es so, dass sich viele darauf einigen können. Das nehme ich sonst eigentlich von diesem Genre nicht so wahr.“
So etwas nennt man dann Speerspitze. Und sie pikst mit herrlicher Genauigkeit dorthin, wo es wehtut. Und manchmal tut es vor Scham weh. Dann wird es Kunst. So entstehen dann Perlen wie „Der Wirtschaft“ - ein Lied mit einem Text, den Warkus nach einer Zufallsbegegnung mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann geschrieben hat. Warkus wartend, die FDP-Frau von einem Plakat dreinblickend. „Da guckt die Fresse mich an der Haltestelle an. Darunter steht ein Spruch, der die Wirtschaft personifiziert. Ich soll jetzt also Gefühle zur Wirtschaft haben? Willst du mich verarschen?“
Die Wirklichkeit als Sujet, seziert und neu zusammengesetzt, um sie scheinbar der Lächerlichkeit preiszugeben, ihr darüber aber die Maske zu entreißen und eine tiefere Wahrheit freizulegen, stilistisch unverbaut, simpel und sorglos drauflos holzend. Das kann Punk, wenn er gut ist. Und der hier ist verflucht gut.
„Wenn du dich gar nicht ausdrücken willst”, sagt Warkus, „um dich nicht für spitze Gefühle und Meinungen rechtfertigen zu müssen: Hey, go for it. Solche Musik, nivellierten Pop, den wird es immer geben. Ich würde mich freuen, wenn das anders wäre, aber guck dir die Masse der Menschen an. Die Masse der Menschen will nicht spitz agitiert sein.“ Ein Blick in die Charts: Selbstbespiegelung, Stumpfsinn, Weltflucht, auch Liebe, klar, aber was hilft schon Liebe, wenn es brennt? „Es gibt echt tolle Love-Songs. Ich liebe auch Love-Songs”, sagt Barth. „Aber mein Gott, es gibt doch so viel zu sagen auf der Welt.“
Einige Stunden später stehen sie wieder auf der Bühne. Hamburg, zweiter Akt. Der Zeitgeist flattert durch den Saal, dieser grässliche Schmetterling. „Schmetterling“, so heißt denn auch ihr bekanntestes Lied, es hat fast sechs Millionen Streams bei Spotify. In der Großen Freiheit verbraten sie es direkt zum Auftakt. Muss man sich - schwierige Metapher im Punk-Kontext - leisten können.
Aber Team Scheisse, ja, die können sich das leisten. Es werden 90 kathartisch köchelnde Minuten. Becher fliegen, der Pit brodelt. Und aus dem reinigenden Dampf aus Schweiß, Bier und Selbstvergewisserung steigt eine Erkenntnis auf: Deutsche Musik hat endlich wieder etwas mitzuteilen.
rnd